Über den Athener Perikles (ca. 490 - 429 v. Chr.) ist sich die Geschichtsforschung nicht so einig, wie es scheinen mag. Er gehörte zwar zu den herausragenden Persönlichkeiten der Antike, aber manches über ihn ist wohl Legende oder Wunschdenken oder Idealisierung oder Übertrag von anderen. Wer weiß. Man nennt ihn den Begründer der Demokratie. Und man schreibt ihm einen oft zitierten Satz zu. Diesen Satz hat mir mein Freund Helge auf ein Ruhekissen geschrieben, 9 x 12 Zentimeter, und vor Tagen habe ich das Kisselchen in Maries Spielzeugkiste für die Puppenstube wieder entdeckt.
Ein sanftes Ruhekissen? |
Erst jetzt ist mir der ironische Widerspruch aufgefallen: Ein Appell an bürgerschaftliche Verantwortung - auf einem Ruhekissen.
Bürgerschaftliches Denken & Handeln ist in aller Munde, auf allen Schreibtischen von Verwaltung, Regierung und Verantwortung und in den Sonntagsreden, in den Grüß-Gott-Reden, in den Vorstellungsreden, in den Wettbewerbsreden. Interessanterweise fehlt der Begriff in den modischen Kompetenzenlisten der Bildungspolitik und der Mitarbeiterkriterien, wenn sein Inhalt auch in anderen Kompetenzen berührt ist. Die heißen etwa: Ichkompetenz, Handlungskompetenz, Sozialkompetenz. Und spezieller: Flexibilität, Innovationskraft, Teamfähigkeit, Führungsstärke, Medienkompetenz, und so weiter. Aber ausdrücklich Bürgerschaftskompetenz findet sich noch nicht in diesen Katalogen. Immerhin kennt mein Rechtschreibkorrektor dieses Wort, vermutlich erst einmal die beiden Wortteile, und er hat mir soeben für Bürgerschafstkompetenz den richtigen Korrekturvorschlag gemacht.
Bürgerschaftlichkeit ist das praktische Äquivalent zum theoretischen Begriff der Demokratie. Ich habe noch gelernt: Demos - das Volk, kratein - herrschen. Also Demokratie = Volksherrschaft. Herrschaft Sechser, das hatten wir aber schon mehrfach während der letzten 100 Jahre! Und ist bis auf Nordkorea und den Iran alles den Bach runter. Weil die Einhaltung solcher angeblich sozialistischer Volksherrschaft in Gleichmacherei mündet und ihre Vordenker zu Alleinherrschern macht, zu paranoiden, also verrückten Tyrannen. (Zur Paranoia als Verrückung der Gehirnkompetenz bald an anderer Stelle im Blog).
Bürgerschaftlichkeit ist keine Herrschaftsform sondern eine Haltung. Wie gewinnt man Haltung? Durch Haltungsübungen: Durch Dehnen und Winden, durch Strecken und Krümmen, durch Laufen und Ruhen. Also durch Training. Solches Training nennen wir im mentalen Bereich Bildung. Wenn also Bürgerschaftlichkeit die Voraussetzung für das Ideal der Demokratie ist, dann wird Demokratie durch Bildung stabil. Bildung in Kindergarten und Schule, durch Peer-Groups und durch Vorbilder, aus Büchern, aus dem Internet und durch Lehrer. Durch Versuch und Irrtum, durch emotionale Stabilität und durch Lebenslust.
Heute herrschen bei uns die Banken, die Konzerne und die Interessenverbände. Die Politiker regieren nur, machen also die Gesetze für die Banken, die Konzerne und die Interessenverbände. Diese Herrschaft käme durch Breitenbildung in Gefahr. Sie würde zuerst entlarvt, dann verdrängt. Deshalb hintertreiben diese Herrschenden jedewede Breiten- und Gemeinschaftsbildung und bevorzugen das schichtenspezifische Bildungssystem: Wir da oben, ihr da unten. Bildung degeneriert dann zum Instrument des Machterhalts einer selbsternannten Elite.
Wer also Demokratie will, der muss Bürgerschaftlichkeit entwickeln. Das heißt: bewusst machen, fördern, einüben. Die Baden-Württembergische Landesregierung hat dazu eine Stabsstelle beim Ministerpräsidenten eingerichtet. Da geht es momentan um die Entwicklung von Bürgerbeteiligung. Und das ist die politische Handlungsebene der allgemeinen Haltung von Bürgerschaftlichkeit. Im Kleinen hat Bürgerschaftlichkeit wesentlich mehr Facetten, sie ist sozusagen das Wurzelgeflecht, aus dem die Sträucher und Bäume der politischen Kultur empor wachsen.
Zum Schluss:
Die Griechen gelten als die Väter der europäischen Demokratie. Ihr Alter ist ca. 2.500 Jahre. Was war damals? Der Mittelmeerraum war dominiert von Völkern mit militärischer Übermacht, regiert von Königen, Despoten, Fürsten, Scheichs und Generälen. Was war davor, lange davor? Wandernde, ihr Vieh vor sich her treibende Sippen, von Oase zu Oase, von Weidengrund zu Weidengrund ziehende Nomaden (die Bibel nennt diese Sippen Häuser). In der Sippe hat ein Oberhaupt das Sagen. Vor dem Patriarchat des Nahen Ostens galt das Matriarchat als Sippenordnung. In der Bibel kennt man Noah, Abraham oder Jakob (der mit seinen zwölf Söhnen), deren einer (Joseph) neben dem Pharao als ägyptischer Staatsmann Karriere gemacht hat. Was aber passiert, wenn die Sippen sesshaft werden und neben Viehzucht auch Ackerbau betreiben, Handwerk und Künste? Diese beiden Kulturformen des Umherziehens und der Dorfgemeinschaft, später des Städtebaus, sind in der allerersten Geschichte der Bibel nebeneinander gestellt: Kain und Abel. In der Stadt müssen sich die Menschen in einem größeren Gefüge als dem der Sippe arrangieren. Und das führt zu Despotie oder Demokratie.
Fazit:
Wer Kindern Bildung verweigert oder frisiert oder dosiert, der untergräbt die Demokratie. Der erstickt sie unter einem Ruhekissen, das keines bleiben kann, weil die darauf schlafen, unsanft geweckt werden könnten.
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