Als ich ein Engel war

Donnerstag, 25. August 2011

Sprachlos

Hin und wieder schreibt in der Nürtinger Zeitung ein emeritierter Redakteur routinierte Konzertberichte, die flüssig zu lesen sind, aber jedesmal an denselben Steinchen anstößig werden und sich in wiederholenden Eindrücken und Empfindungen aalen. Für Berichte über Musik immer wieder neue Wörter und Sätze zu finden, ist ja nicht leicht, zumal, wenn da einer schreibt, der nicht vom Fach ist, der zwar schreiben kann, aber außer Gemüt und ein Ohr für konsonante Musik (Konsonanz = Wohlklang) sowie einem mehrbändigen Musiklexikon nichts zur Verfügung hat.

So gebraucht etwa der Wetterbericht aus Radio und Fernsehen für wechselnde Wetterlagen jeweils dieselben sprachlichen Wendungen, um gleiche oder ähnliche Wetter Unwetter zu beschreiben. Sätze wie Verkehrsschilder. Vermutlich auch deswegen, weil daran sich im Laufe der Zeit dieselben Vorstellungen und Erwartungen geknüpft haben. So sind Wetterfrosch und Mensch stets auf derselben Sprosse, auf Augenhöhe, wie man heute sagt (und das führt stracks zu unserem Thema, wie gleich zu sehen sein wird). Gewitterneigung heißt es etwa, oder gegen Abend aufklarend, oder anhaltender Schneefall bis in die frühen Morgenstunden.

Verkehrsmeldungen verfahren ebenso. Oder Grundschulzeugnisse. Warum nicht auch Konzertberichte? Schließlich gibt es nur 12 verschiedene Töne und eine überschaubare Zahl von Instrumenten. Da muss man nicht immer das Rad neu erfinden; was auch so eine Floskel ist.

Seit der Erfindung des Schreibtischcomputers gibt es für sprachliche Convenience-Produkte (engl. convenience = Bequemlichkeit) den Begriff Textbaustein. Textbausteine gleichen den Backsteinen beim Bauen. Deswegen heißen sie auch so. Mit Backsteinen baut man Mauern und Wände, die wie Backsteinmauern und Backsteinwände aussehen,  und mit Textbausteinen baut man Texte, die wie Sprache aussehen.

Eines Tages habe ich den Konzertberichterstatter der Nürtinger Zeitung dabei ertappt, dass sein kompletter Einleitungsabschnitt von mindestens zwölf Druckzeilen derselbe war wie  einer vor mehreren Monaten, den ich zufällig ausgeschnitten, gelocht und in den Ordner Material für Unterrichtsvorbereitungen eingeheftet hatte. Nanu, dachte ich, und keiner merkt es, dass der von sich selber abschreibt.

Danach habe ich die Berichte des Berichterstatters aufmerksamer gelesen und in der Tat immer wieder Ähnliches wenn nicht gar Identisches entdeckt. Vor allem dieselben Wörter zu denselben Sachverhalten, und das fällt dann ganz besonders auf, wenn das Wort falsch gebraucht, und zwar stereotyp an verwandten Stellen falsch gebraucht, also ganz und gar nicht verstanden sondern nur aus Fachwörterbüchern entnommen ist. In jedem Bericht schreibt er vom grummelnden Bass, falls er einen Bass prononciert herausgehört hat, um die tiefe Tonlage so zu illustrieren, wie er sie aufnimmt, nämlich immer gleich: er hört ein Grummeln. Fast kein Bericht des Redakteurs, in welchem nicht Bässe grummeln. Das macht einen schon etwas sprachlos, vor allem, wenn man die Unbestechlichkeit solcher Schreiber kennt, mit der sie die eingereichten Texte anderer zensieren.

Dazu, und noch zu viel mehr dieses BLOG-Label FORTS. FOLGT.

Anders als sonst, weil nämlich die Beispiele für sprachliche Konfektionierung immer wieder auftauchen, und immer wieder neue nachwachsen, soll jeder Beitrag dieser Labels als Fortsetzungsgeschichte geschrieben werden. Also: immer mal wieder anklicken, denn immer mal wieder kommt was Neues dazu. Vielleicht entstehen so neue Texte, die als Klone konfektionierten Sprachgebrauchs wieder einmalig sind. Mal sehen.

2 Kommentare:

  1. Tja, Reinmar, nicht jeder kann sich Maßfertigung leisten, manche bedürfen eben der Kofektion. Macht aber nichts, denn schön in der Bibel steht meines Wissens: "Seelig sind die Armen im Geiste..."

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  2. Jetzt ist der Kommentar wieder da, ohne Schreibfehler:

    Wenn man diese Bibelstelle so übersetzt, wie sie im orignal Griechisch gemeint ist, müsste man etwa sagen: Selig die geistlich Armen.

    Das heißt, selig diejenigen, die nicht berührt sind vom Wehen des Geistes. Mit Beschränktheit hat das nichts zu tun. Oder gar mit mangelnder Intelligenz oder Dummheit.

    Zur Konfektionierung der Sprache: Siehe die weiteren Blogs zum Thema Forts. Folgt.

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