Der Stress geht erst los, nachdem wir sitzen. Zu sechst, hinterm Paravent nach der Eingangstür zur Roten Sonne. Das ist Nürtingens Umsatzriese in Sachen Asiatische Gastronomie. Kein Chinese. Mongole.
Erst mal die Getränke. Geht flott. Die zerbrechliche Asiatin stellt sechs Gläser vor mich und ist weg. Die Ehefrau verteilt an die Familie.
Ich sehe direkt zum Bratkoch. Der kippt Tellerladungen nebeneinander auf die Bratfläche. Sechs nebeneinander. Kein Wok, die Brathitze geht in die Luft. Die Ladungen sind von den Gästen am Buffet zusammengestellt. Überwiegend abenteuerliche Mischungen. So etwa wie Maultaschen mit Blumenkohl und Gsälzbrot. Diese Kundschaft hat wenig Ahnung vom Kochen und auch nicht vom Essen. Sie schätzen den Tiefpreis und füllen sich ab.
Am Tellerrand klemmt die Wäscheklammer mit Tischnummer drauf. Meine heißt 12 A. Die Bedienung mit dem Pferdeschwänzchen weiß sofort wohin.
Mein Blick wird laufend unterbrochen. Ständig quengeln neue Gäste durch die Glastüre. Manche müssen an der Garderobe warten, weil alle Plätze reserviert sind. Wir waren unter den ersten, um halb Zwölf, und das mongolische Servicepersonal hat für uns ungefähr elf Tische neu gepuzzelt. Wir sitzen Tisch eins plus Tisch zwölf, Katzentisch am Eingang.
Die Kinder gehen schon mal Essen fassen. Pommes - ich glaub´ es ja nicht - dazu Frühlingsröllchen, paniertes Schweinfleisch aus der Fritteuse und Reismehl-Chips. Die Chips schmecken nach nichts und bleiben liegen.
Madame und ich gönnen sich eine Pekingsuppe, Küchenquerschnitt mit Eierflaum in Stärkesauce. Schmeckt nur mit einem gehäuften Löffelchen Sambal Oelek. Aber auch der ist vom Discounter, am unteren Schärferand und ohne Würzkraft.
Meine Waden werden kalt. Wir sitzen im Luftzug und im Menschenstrom. Jeder dritte Gast streift meine rechte Schulter. Vor allem die heranwachsenden Sprösslinge scheinen ein Heimspiel zu haben und drängeln unbeschwert hin und her. Also gehe ich ans Büffet. Dort ist der Tumult noch heftiger. Man kratzt, sortiert aus, kippt zurück und überhäuft den Teller. Ich wähle mein erstes Bratgut aus: Shrimps und Octopussies mit Broccoli und Lauchzwiebelchen, dazu ein Schälchen Schwarze Fischsoße.
Die Bratpause nütze ich zur Examination der restlichen Büffetkästen, eine stattliche Zahl! Acht mal Frittiertes, darunter Pommes Dauphin, kugelförmig, Alma-Ata-Art. Das Salatbüffet ist sehr flexibel, sogar Kartoffelsalat neben den Gemüsestreifen aus der Importdose (Saget Se amol, kenndat Sia net zo ihrem chinesische Sach no an Kartoffelsalat herdoa?). Die üblichen gebratenen Nudeln, der Riesenpott mit Klebereis, Billig-Basmati, Marke Kolchos. Ein paar Standardgerichte (Schweinehals süß-sauer) und ein fast noch tiefgefrorenes Fleisch- und Fisch-Sortiment: Rind, Schwein, Lamm, Pute, Pangasius. Je auf Eis. Sieht gut aus. Daneben Muscheln, Schlabbermorcheln, Sojasprossen, Marktgemüse und sonstiges aus dem Asia-Laden.
Nach 12 Minuten kommt die dünne Asiatin mit meiner ersten Auswahl. Sie schaut immer noch genervt über die Köpfe weg und schiebt mir den Teller im Vorübereilen vor den Latz. My first dish, etwas unterkühlt, nicht ganz durchgegart, der Alleinkoch schichtet unter Zeitdruck. Nebenher formt er Reiskissen, mit Folienhandschuhen über den Händen. Wofür?
Mittlerweile Stauungen und Verdichtungen am Eingang. Sorglose Gäste kommen ohne Vorbestellung. Das Personal gibt Zeitpunkte aus: 12 Uhr 40, 13 Uhr, 13 Uhr 30. Manche ziehen wieder ab. Die haben´s gut, denn bald kommt meine zweite Miniauswahl zum Abgewöhnen: Rindfleisch mit Morcheln und Bambus an scharfer Soße. Das Fleisch ist nicht nur so dünn, sondern auch so bissfest wie eine Ledersohle. Die Morcheln sind aus der Frühernte, Winzlinge, die weder schlabbern noch Biss haben. Nur der Bambus schmeckt, da naturbelassen. Soße verdampft, Geschmack Null-Acht/Fuffzehn. Richtig Asiatisch schmeckt anders.
Die Kinder haben inzwischen fertig. Mariele zerlegt aus Langeweile eine kalte Minirolle. Willst du sie nicht aufessen, frage ich. Nein, Opa, ich habe vorher doch eine Brezel gegessen. Die Glückliche. Paule und sein Freund Nico tun sich eine Schüssel Softeis ein, Madame ebenfalls, Frau Tochter hatte recht: Sie ließ sich einen Gemüseteller grillen. Und nun sitzen beide Damen auf Kohlen, weil ich mir Zeit lasse und die Energie der Kinder sich nunmehr auf anderes richtet als auf die gefüllten Tröge.
Der Ober blickt mehrfach zu uns her und hofft, dass wir bald die Mücke machen. Also entlasse ich die Truppe ins Hallenbad und gedenke, noch eine Testrunde durch das Büffet zu machen, weil sich der Sturm des Anfangs gelegt hat. Da nähert sich ein Bekannter mit Dame. Ein Zeichen von mir und er kann am frei werdenden Tisch Platz nehmen. Drei Stühle sind noch übrig. Da werden drei Monteure im blauen Anton platziert, die aber sogleich wieder weiter ziehen, weil hinten im Lokal Bekannte sitzen. Zwischen Weihnachten und Neujahr kriegt man mittags kaum einen Platz, sagt der Bekannte. Isst wohl öfters hier.
Ich sitze seit über einer Stunde in einer engen Kantine, in der man nicht isst. Man speist sich ab. Ich sehe fast jeden Teller, den die Büffetspezialisten an mir vorbei tragen. Alles randvoll, kaum mehr identifizierbar. Von allem etwas, Hauptsache viel, pro Gast keine sieben Euro. Da geht was.
Nichts will mich verlocken. Der asiatische Reiz beschränkt sich auf die Präsentation der Speisen. Die Zubereitung beschränkt sich auf Routine. Und der Geschmack ist durch Glutamat überbewertet. Meine letztes Defilee vor den Glaskästen, eine Fahndung. Einzige Beute - etwas Süßsaures. Einen Löffel voll über ein Schälchen mit Reis. Naja. Zum Finale leichenweiße Litschies im Zuckerwasser. Die schmecken so wie sie botanisch heißen: Seifenbaum-artig. Ich würde sie mit Ingwer, Honig, Kardamom, einer Nelke und etwas Säure einlegen. Dabei Aprikosenschnitze in dito, sowie Ananas mit Strunk, dito in dito.
Tröstlich die Rechnung: 48 Euro, Trinkgeld inklusive. Dreißig für´s Essen, sechzehn für Getränke. Macht im Schnitt acht Euro pro Nase. Billiger geht´s nirgends. Aber viel Geld für zwei Stunden Frust.
Nächstens hat die Rote Sonne immer weitere sechs Plätze zur freien Verfügung. Ich fahre lieber vorher zwei Stunden mit dem Auto, bis ins Traumland asiatischer Kochkunst. Nach Sonthofen, in die Freibadstraße, ins Panda. Nie habe ich besseres chinesisches Essen bekommen. Und ich war schon 1963 einer der ersten Kunden im einzigen Stuttgarter Chinarestaurant.
Das Wirtsehepaar in Sonthofen kommt aus Taiwan und splicht immel noch geblochen Deutsch. Er saß im leeren Lokal hinter seinem Tresen und las über seine Brille hinweg eine chinesische Zeitung. Als wir eintraten bemerkte er uns gar nicht. Sie kam später aus der Küche und lächelte betörend. Aber so beginnt eine andere Geschichte. Die erzähle ich bald. Mit Audio-Track.
warum tut man sich so ein essen incl ambiente an?
AntwortenLöschenDas ist wie mit Party. Man weiß vorher nie, was abgeht. Und schlauer ist man erst nachher.
AntwortenLöschenDeine Erfahrungen hätte ich so nicht beschreiben können, würde den Text aber als zutreffend unterschreiben. Es ist ein Vergnügen den Artikel zu lesen, mir stellt sich in einer ähnlichen Situation immer die Frage wie man den Frust abbaut. Die Kellnerin anzuraunzen geht nicht, sie ist ja bekanntlich das schwächste Glied in der Kette der Geschmacklosigkeiten, Köche sind unberechenbar und mit Messern ausgestattet - einen Veriss auf FB ist da doch eine gute Lösung. Ich traue mir trotzdem noch einen Tipp: Das Pho Saigon (nebst der FKN) ist 2 Klassen besser!
AntwortenLöschen