Unser Stadthalle heißt nicht mehr Stadthalle. Ein Werbedödel hat ihr die Kennbuchstaben K3N verpasst. Könnte ein Quasar sein, im Sternbild Dödel. Oder eine Fleckenpaste. Heißt aber Kunst, Kultur, Kongresse und ist schon mal Quatsch, weil Kunst nicht neben der Kultur steht. Sie ist ein Teil von ihr. Kongresse nicht. Wäre ich gefragt worden, hätte ich Klappern, Klimpern, Kungeln vorgeschlagen. Oder Küsse, Kohle, Karneval.
Heute ist Silvester, und da werden im K3N die Nürtinger Stadträte gewogen. Dazu schleppt man eine Sackwaage in den Saal, und dann steigen die Säcke der Reihe nach aufs Gerät und werden gewogen. In Pfund. Ein städtischer Beamter schreibt alles auf, und ein Reporter der Nürtinger Zeitung schreibt alles mit. Dann kommt es nach Neujahr in der Zeitung. Weil es sehr interessant ist, ob der Oberbürgermeister drei Pfund mehr wiegt als im Vorjahr oder fünf Pfund weniger. Dann wird gewitzelt, ob er´s vielleicht locker angehen ließ mit dem Verwalten, oder ob er im Stress war und weniger Zeit zum Essen hatte. Oder ob er oft im Urlaub war und sich ein paar Pfunde herunter gesportelt hat. Dazwischen ist Party, mit allem was der Wirt so bereit stellt.
Es steigen auch Verwaltungsmenschen auf die Waage, Kirchenmänner, Prominente und Damen. Falls die sich überhaupt wägen lassen. Das Gewicht einer Dame gehört nämlich bei uns zum Intimbereich. Die nicht autorisierte Offenbarung eines weiblichen Gewichts ist eine taktlose Indiskretion, obwohl so ein Gewicht gar nicht verschleiert werden kann. Vor allem wenn es so weit gediehen ist, dass man es deutlich sieht und daher nicht offen darüber spricht. Die Orientalen verschleiern nie das Gewicht, sondern die Haare. Allenfalls das Gesicht. Aber nie das Gewicht. Weil das ohnehin jeder sieht, so ein Gewicht.
Spätestens hier muss geklärt werden, ob es wägen oder wiegen heißt. Wiegen vollzieht sich auf den Knien oder beim Tanze. So eng haben es die Stadträte aber nun auch wieder nicht miteinander. Im Gegenteil. Also Wägen. Man sagt auch nicht Wiegemeister sonder Waagemeister. Im K3N sitzt heute ein Waagemeister mit seinem Assistenten. Der Meister wägt, der Schreiber führt die Liste. Mehr geschieht mit den Pfunden nicht. Manche Gewogene steuern einen Scherz bei, und wenn der gelungen ist, kommt er auch in die Zeitung. Dann lacht die ganze Stadt, also der Teil, der Zeitung liest.
Schon in der Bibel geht es um das Wägen und Abwägen. Ganz dramatisch im Buche Daniel , 5. Kapitel:
1 König Belsazer machte ein herrliches Mahl seinen tausend Gewaltigen und soff sich voll mit ihnen. 2 Und da er trunken war, hieß er die goldenen und silbernen Gefäße herbringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem weggenommen hatte, dass der König mit seinen Gewaltigen, mit seinen Weibern und mit seinen Kebsweibern daraus tränken. 3 Also wurden hergebracht die goldenen Gefäße, die aus dem Tempel, aus dem Hause Gottes zu Jerusalem, genommen waren; und der König, seine Gewaltigen, seine Weiber und Kebsweiber tranken daraus. 4 Und da sie so soffen, lobten sie die goldenen, silbernen, ehernen, eisernen, hölzernen und steinernen Götter.
Und das hätte der Herr Belsazer besser nicht getan. Denn flugs erschien eine Hand und schrieb etwas an die Wand: מנא ,מנא, תקל, ופרסין . Man muss das von hinten lesen, und dann heißt es Mene mene tekel u-parsin. Das ist ein Wortspiel mit akkadischen Gewichtseinheiten, und das konnte der besoffene König nicht verstehen. Auch seine Schriftgelehrten waren ratlos. Da ließ Belsazer den Juden Daniel kommen, der deutete das Rebus als Wortfolge und wurde sofort zum dritten Mann im Staate promoviert, weil er sozusagen einen Geheimcode geknackt hatte. Noch in derselben Nacht aber wurde König Belsazer umgebracht.
Deswegen spricht man bis heute von einem Menetekel, wenn Zeichen auf eine Katastrophe hinweisen. Den Stuttgarter Archivaren ist das geläufig, und da haben sie kürzlich den Bauzaun um den Hauptbahnhof und den Park ins Haus der Geschichte verfrachtet. Dort kann man jetzt alle die Menetekels lesen, die daran gehängt sind. Gedeutet hat sie offenbar noch niemand, geschweige denn Konsequenzen daraus gezogen. Also Aufsteigen im Staatsrang oder mit Gold behängt werden oder so.
Der gebildete Daniel macht aus den Ziffern eine Zahl und liest sie so: Mene: Gezählt hat Gott die Tage deiner Herrschaft und macht ihr ein Ende. Tekel: Gewogen wurdest du auf der Waage und zu leicht befunden. Peres (u-parsin): Geteilt wird dein Reich und den Medern und den Persern gegeben.
Diese Geschichte hat mich schon als Kind beeindruckt. Der Daniel hat ja auch einen unfreiwilligen Aufenthalt unter Löwen überstanden, und einige der jungen Juden sind unbeschadet aus einem Brennofen wieder heraus gekommen. Und gerne hätte ich den Namen des Helden Daniel getragen. Aber meine Mutter hat mich nach einem Minnesänger benannt. Nix mit Held. Das haben wir nun alle davon.
Beim Silvesterwiegen im K3N muss man indessen keine Menetekels befürchten. Ob gewichtig oder Leichtgewicht - alle kommen durch. Weil man nur die Massen bestimmt. Würde man wie bei Belsazar verfahren und die Güte messen, könnte die Sache anders rum ausgehen. Da wären Leichtgewichte die Verlierer, die Warmduscher und die Luftblasenbläser. Sieger wären Pfundige, die mit ihren Pfunden wuchern und eine Menge davon auf die Waage brächten.
Ein bisschen Daniel täte der Politik ganz gut.
Prost, Neujahr!
Ihnen ein gutes Neues Jahr, das es besser werden möge als das alte mit oder ohne Wiegen
AntwortenLöschen