Heute Morgen wieder mit Mariele zum Kindergarten. Andere Mütter - ich reihe mich da geschlechtslos ein - kommen ebenfalls, an der Hand ihre kleinen Zottelbärchen und Trippelmäuschen.
Hallo!
Hallo!
Türe aufhalten.
Danke.
Bitte.
Zur Garderobe.
Vesperränzle runter, Mütze runter.
Mariele, stell dich gerade hin!
Jacke aus, Stiefel aus, Hausschuhe an, Vesperränzle aufhängen, Schnuller ablegen, Haargummi nachjustieren. Dann Fräulein Prinzessin auf der Erbse dem pädagogischen Personal zuführen.
Smalltalk, hausfrauenmäßig.
Was kochen Sie denn heute Gutes?
Was gibts denn bei euch im Hort?
Karottenmus mit Spätzle.
Könnte ich auch mal wieder machen.
Tschüss.
Ab durch die Mitte.
Meistens kniet man vor der Garderobe in der Hocke, beugt sich zu den Kleinen und nudelt sie um, bis sie hausgerecht verwandelt sind. Manchmal, wenn sie aufgucken, sehe ich dabei die Gesichter der jungen Mütter neben mir. Kurzes Wahrnehmen. Andeutung einer Regung, ein kurzes Lächeln vielleicht. Dann wieder zurück auf das Morgengleis mit Dienstplan und Eile. Nicht gerade fröhlich sind diese Gesichter, leicht angespannt, abweisend zuweilen und mit den Gedanken bereits voraus eilend. Oder zurück, wo etwas anders geworden ist als erhofft. Vielleicht zu oft.
Und Tschüss.
Sind das dieselben Frauen, die sich einmal auf ihr Kind gefreut haben, die sich einen Mann genommen und den schönsten Tag ihres Lebens gefeiert haben? Sind das die Mädchen, die schön gewesen sind, wenn sie etwas wollten, einem Mann nicht nur gefallen sondern ihn haben wollten? Die sich schön erlebten und schön machten? Die das Glitzern in den Augen haben, weil sie Evas Töchter sind? In denen die Evolution alle Hebel in Bewegung setzte, alle Kräfte bündelte, um die Evolution nicht aufzuhalten? In ihrem Sinne aufrecht zu erhalten? Die in verführerischer Eleganz ihren Helden - und nicht nur den - zum Schmelzen brachten, so dass er wenigstens ein Jahr lang wie eine Frau dachte und reagierte, sensibel, zuvorkommend, mit Antennen, die das Gras wachsen hörten?
So lange dauert das ja mit dem Verliebtsein, im Durchschnitt: Ein Jahr, oder anderthalb. Fünfzehn Monate, in denen sich die Schöpfung neu erfindet, in denen ein kleines Würzelchen die Kraft aufbringt, einen Felsen zu spalten. Fünfzehn Monate, in denen das Mädchen glauben durfte, sie habe es geschafft und aus dem Zottelbären einen Prinzen gemacht. Dank ihrer Beispiel gebenden Schönheit. Und nun, im Flur vom Kindergarten, scheinen es Getriebene, Frustrierte, Überforderte, Enttäuschte zu sein.
Vielleicht sehe ich das zu trübe. Aber wo ist jene glitzernde Lebensfreude geblieben, wo der verführerische Glanz der Augen, verhalten leuchtend, oder Sterne versprühend, wo die Zartheit der Bewegungen, der Hände, wo die kecken Neigungen des Kopfes, das anbändelnde Schütteln der Haare?
Ist es vorbei oder nur verborgen? Versteckt wie die glitzernde Dekoration, die nur alle Jahre wieder an Weihnachten hervor geholt und für kurze Zeit entstaubt wird? Ist das Glitzernde entsorgt, weil es keinem Zweck mehr dient? Oder weil man keinen Sinn mehr darin spürt?
Im Flur des Kindergartens, beim Abgeben der Kinder, im Wissen, was jetzt zu Hause oder in der Firma wartet, da sind diese Frauen wie einstige Schönheiten, die sich in Kittelschürzen verkleidet haben und zum Aschenputtel geworden sind, verschoben in die Mühle des Alltags. Stumme Schattenfrauen, deren Schönheit nach innen zeigt wie die unsichtbaren harten Kristalle des Amethyst.
Eine Stunde zuvor. Mariele sitzt am Boden und puzzelt.
Opa, helf´ mir.
Mariele, du musst dich jetzt anziehen, wir gehen bald zum Kindi.
Okay.
Ich soll Mariele eine Kleiderstraße auslegen. Alle Klamotten in Reih´ und Glied griffbereit auf den niederen Tisch legen. Bei jedem Stück, das aus dem Körbchen auftaucht, meine Frage:
Ja, was haben wir denn da?
Ei-ne Ho-si!
Mariele skandiert die Silben wie ein Rapper.
Und was ist denn das?
Ei-ne Strumpfelhose!
Und was kommt denn da heraus?
Ti-schört.
Jetzt schau mal da!
Mei-ne Unterhosi, für-den-Popo.
Und das da?
Pull-over, mit-Knöp-fe. Opa mach zuerst die Knöpfe auf!
Und dieses rosa Ding hier?
Unterhemdle.
Unterhemdle.
Bei jeder Antwort ein Hüpfer und Händeklatschen. Und dann helfe ich ihr in die Kleiderchen, Stück für Stück. Bei der Strumpfelhose gibt´s zum Festzurren einen Hosenflieger: Ich packe links und rechts den Hosensaum samt Kind, Mariele hält sich an meinen Schultern fest, und schon schwebt sie auf den Tisch und wieder herunter. Und die Strumpfelhose sitzt.
Dann ist das Mädchen landfein gekleidet. Ich bürste ihre langen Haare, vorsichtig. Sie mag das, weil ich auf das Zarte Rücksicht nehme und die Haare nicht zupfle. Danach stellt sie sich auf wie ein Standbild, streift mit den Händen von Hals bis Bauch, und spreizt dann die Unterarme ab.
Schön siehst du aus, richtig chic.
Da dreht sie sich wie eine Porzellanballerina auf der Spieluhr, nur ein kleine Bewegung, und streicht ihre Haare aus dem Gesicht. Einmal wollte ich das tun dürfen, um zu spüren, wie schön es ist, wenn man schön sein darf und damit im Lot ist.
Mariele ist für kurze Zeit im Lot, eins mit sich. Gleichzeitig Kind und Frau, ohne Alter. Das ewig Weibliche, wie Herr Goethe bemerkte, das uns (Männer) hinan zieht. Der Mensch an sich, als Ebenbild Gottes: Das Weib, mit seiner Rolle im Reinen.
Mariele gefällt sich. Sie ist mit sich zufrieden, und auf diesem Urgrund wird sie aktiv. Tatendurstig blickt sie um sich, und jetzt müssen wir gehen, sonst quengelt und zickt sie, weil ihre Energie sich anstauen würde.
Da gehen meine Gedanken plötzlich weiter, von Mariele zu Maria. Zu jener Maria aus der West Side Story, einer moderne Julia, zu Nathalie Wood, die sich in der Kinoverfilmung des Musicals vor dem Spiegel dreht und I feel pretty, oh so pretty! singt.
Kürzlich hat mich die Nachricht einer jungen Frau erreicht, nicht persönlich, sondern ganz unbekümmert offen, für alle, im so genannten "Sozialen Netzwerk":
"Ich ziehe jetzt mein neues Glitzerkleidchen an."
Das klang weder sachlich noch protzig. Weder kokett noch eingebildet. Nur pretty, oh so pretty! Das Schöne an sich. Das Schlechthinnige Schöne, wie es der legendäre Nürtinger Bildhauer K.H. Türk 1986 in der Kreuzkirche humorvoll genannt und beschrieben hat. Mein Gedichtchen dazu:
Das nagelneue Glitzerkleid
Mein nagelneues Glitzerkleid,
Su, su, su,
Ist einmal eng und einmal weit,
Du, du, du.
Mit Band und Tand und Strass
Trag ich´s zur Ladenkass´
Gleich - im - Nu!
Ein nagelneues Glitzerkleid,
Blu, blu, blu,
Zieht viele Blicke voller Neid,
Hu, hu, hu,
Auf sich, wenn man geht,
Sitzet oder steht.
Im - mer - zu!
Dein nagelneues Glitzerkleid,
Mi, ma, mu,
Sieht man schon kilometerweit,
Ri, ra, ru,
Durch menschliches Gedrängel:
Schau, ist das nicht ein Engel?
Nein - nur - Du!
Schön, beides, der Text über Mariele und das Gedicht über das nagelneue Glitzerkleidchen! Muss vielleicht öfter mal hier im Blog lesen... :)
AntwortenLöschenWer so schöne Hosenflieger mit Mariele machen kann, soll sich immer neu das Schöne im Leben finden statt sich Luft- und Wortlöcher für den Hals auszudenken.
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