Als ich ein Engel war

Samstag, 23. Juni 2012

Du, meines Herzens Krönelein!


Balder Kienmoser starb am 15. Juni 1966

Singe vöglein
singe!
Eisiges lachen
hab ich
für dich du
eisvogel
dornenvogel
Dein
tod ist blau
und schnell,
und deine seele
flattert bis
im eigenen Eishauch
sie erfriert
Frauenlachen schwebt
im flirrenden Sandland
vöglein und dein
wasser trocknet im
kargen sand
Ich lache ins grab dir
daraus deine flügel
gestutzte Spitzen spreizen
meinem spott
zu trotzen
Singe mir ein klagelied
ein eislied voller dornen
deine schmalen totenaugen
glitzern mir herauf.
Ich lache dir
freundlicher tod du
schneller freund
deiner eishand
lache ich
mit meinen
schmalen
grinsenden
augen.
Willst du mich
bin ich schon
vor dir geflohen.

(reiner maria wipper, juni 1966)



Komme ich um 9 in die Musikhochschule. Soll sofort rauf nach 318. Wollte ohnedies dort hin, Balder begleiten. Balder liegt neben dem Flügel auf dem Rücken. Der Gesangslehrer hüpft wie Rumpfelstilzchen zwischen Schrank und Fenster. Er hat Balder das Hemd geöffnet. Jetzt findet er eine Flasche Essig im Schrank und fängt an, Balders Brust einzureiben. Ich sage ihm, er soll das lassen. Ob er schon die Sani gerufen habe? Hat er nicht. Ich fliege ins Rektorat. Die brauchen 10 Minuten bis sie begreifen und den Krankenwagen rufen. Beim Musik Machen ist hier noch niemand tot umgefallen. Erst recht nicht beim Einatmen.


Die Sanitäter kommen erst mal im Aufzug hoch und glotzen. Dann sagen sie, der muss ins Hospital. Sagte ich doch schon am Telefon, schreie ich die an. Ich solle nicht so frech sein, sagen die und holen die Trage aus dem Auto. Wer fährt mit, fragen sie? Alle drücken sich. Ich fahre mit. Sitze also im Blaulicht-Auto. Es ist über eine Stunde vergangen, bis Balder im Krankenhaus ankommt. Im Kathrinenhospital kommt der Arzt nach 10 Minuten aus dem Notfallraum: Gehören Sie dazu? Ich bin sein Freund. Der junge Mann ist tot, wen müssen wir benachrichtigen? Die Hochschule, sage ich und will ihm die Nummer vom Pförtner diktieren. Und die Eltern? Leben in Ulm. Haben Sie die Adresse? Nein. Dann machen Sie das für uns? Muss ich wohl.
Zurück in der Hochschule mache ich Meldung im Rektorat. Dann gehe ich wieder runter in die Stadt, zur Eberhardskirche, sitze in irgendeiner Bank und sage meinem Gott, er ist ein Arschloch. Und heule still vor mich hin. Danach sitze ich im REX und gucke mir den James Bond-Film an. Dann nehme ich drei Halbe im Dinkelacker-Keller unterm Hauptbahnhof.

Wer trampt jetzt mit mir nach Griechenland, die Singvögel hören? Wer läuft mit mir über den Sandstrand? Wer singt jetzt mit mir die Lieder von Richard Strauß? Von wem höre ich diesen melodischen Rausch, zu dem ich die Musik spiele: Du, meines Herzens Krönelein!

Du meines Herzens Krönelein,
du bist von lautrem Golde,
wenn andere daneben sein,
dann bist du so viel holde.

Die andern tun so gern gescheut,
du bist gar sanft und stille,
daß jedes Herz sich dein erfreut,
dein Glück ist's, nicht dein Wille.

Die andern suchen Lieb und Gunst
mit tausend falschen Worten,
du ohne Mund- und Augenkunst
bist wert an allen Orten.


Du bist als wie die Ros' im Wald,
sie weiß nichts von ihrer Blüte,
doch jedem, der vorüberwallt,
erfreut sie das Gemüte.

(Felix Dahn) 


Balder hat es etwas zügiger genommen, aber mit demselben schlanken Schmelz wie dieser japanische Tenor:
http://www.youtube.com/watch?v=1oABBfIMRCc

3 Kommentare:

  1. Ist das der Sänger des Liedes ("Du meines Herzens Krönelein") gewesen, den du am Klavier begleitet hast? Hab ich das noch richtig in Erinnerung?
    Anita

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  2. Den Balder habe ich über ein Jahr am Klavier begleitet, im Gesangsunterricht. Sein Lehrer, Prof. Helmut Lips, hat gesagt, er solle nur noch mich mitbringen, weil ich der einzige bisher sei, der den Ansprüchen dieser komplizierten spätromantischen Musik gewachsen sei. Das hat mich so beflügelt, dass ich das ganze Jahr sehr viel geübt habe und so weit war, von der Schulmusik in die Konzertpianistenklassen zu wechseln, als Liedbegleiter. Dann aber machten sich körperliche Grenzen bemerkbar: Ich hatte zuvor 1 Jahr nicht spielen können wegen einer beidseitigen, langjährigen Sehnenscheidenentzündung. Um wieder anzufangen hat mir mein Professor geraten, Lieder zu begleiten und die Chopin-Etüden vorerst zu meiden, weil sie nur für gesunde Hände taugen. Die Ausgewogenheit der Finger war indessen hinüber, Ringfinger und kleine Finger gehorchten nicht mehr wie nötig.
    Und dann ist mein Selbstvertrauen eingeschlafen. Fast bis heute. Immer wenn ich öffentlich spielen sollte, war ich wie gelähmt, unfrei und konnte mich nicht mitteilen. Das ist jetzt vorbei seit ein paar Jahren. War aber viel zu lang, und ich habe mich jahrzehntelang verschlossen. Ich war wie ein Achat-Stein: Der ist nach innen Achat, außen ist er grau und rau, und wenn du ihn leuchten sehen willst, musst du ihn zerbrechen.

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  3. Balder haben wir in der Schule bei dem Klavierkonzert von Chopin begeitet. Und zu meinem Vater kam er zum Klavierunterricht. Er hatte immer so ein Strahlen um sich, wie ich das in meinem Leben nur bei ganz, ganz wenigen Menschen gesehen habe. Und es freut ich riesig, dass es hier im Internet noch diese eine Erinnerung an ihn gibt, Dankeschön!

    Peter

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